Gabriela
Morschett

Vernissagerede für Beatrix Tamm, 17. April 2011

Ausstellung vom 17. April – 22. Mai 2011 in der Ateliergemeinschaft Tamm/Horstschulze

Ein sicheres Gefühl für Farbe, Licht und Farbkombinationen - das war der erste spontane Eindruck, den ich hatte, als ich die Bilder von Beatrix Tamm das erste Mal gesehen hatte. Die in Berlin geborene Künstlerin hat in Bonn und in Dornach Malerei und Bildhauerei studiert und ist seit 1982 freischaffend tätig.

Das Eigenleben der Farbe und das damit verbundene Assoziieren und Erzählen von Dingen und Gefühlen ist das große Thema der Künstlerin. In ihren Gemälden aus Acrylfarbe, Kreiden und weiteren Mischtechniken zeigt sie, welche Leuchtkraft und Suggstivwirkung die Farbe besitzt. Ihr entlockt die Künstlerin Ausdruckswelten in unterschiedlichen Farbklängen und farbigen Pastellnuancen, die sie auf Leinwand und Pappe entwickelt.

Beatrix Tamm spielt mit der Erkenntnis, daß unsere Sinne unserem Erkenntnis- und Empfindungsvermögen ständig eine Fülle von Beobachtungen und Eindrücken anbieten, die allerdings oft von unserem wachen Bewußtsein zum Schweigen verurteilt werden und in unser Unterbewußtsein abtauchen, aber dennoch leise weiterklingen. Es sind Spuren der Erinnerung, die zum Anstoß der künstlerischen Arbeit werden.

Die Künstlerin schafft Bilder des Ausdrucks im Augenblicklichen, in denen es ein neues System der Schwerkraft gibt, in der das Oben und Unten nicht mehr zählt. Was zählt, ist eine rhythmische Schwingung, die aus dem Unendlichen zu kommen und in das Unendliche zu gehen scheint. Es sind Bilder, die sich offenbar aus sich selbst produzieren und den Betrachter Einblicke in einen atmosphärischen Farbraum eröffnen.

Im zügigen Arbeitsprozeß greift sie intuitiv zu der Farbe, die ihr am stärksten entgegenkommt. Sie arbeitet nicht planvoll, sie hat vorher keine Vorstellung von dem Bild, sondern kennt nur den Weg, der zu gehen ist, von dem sie sagt: „Ich weiß wo er hinführt.“

Die Farbe, die sie interessiert, steht im Zusammenhang mit einem Kontext, tritt in einen Dialog mit den anderen Farben und liest sich als Impuls innerer Bewegtheit. Aus der Überlagerung von Farbschichten entsteht ein sphärischer Farbraum, der sich den perspektivischen Regeln und Sehgewohnheiten entzieht. Horizonte gibt es nicht.

Der Betrachter blickt auf eine gestische Malerei, die in bestimmten Farbnuancen mehrschichtig aufgetragen wurde. Schaut man längere Zeit auf diese Fläche beginnt sich die Farbe zu bewegen: Sie oszilliert. Im Auge des Betrachters beginnt die Farbe praktisch ihr Eigenleben.

Hier haben wir das Prinzip ähnlich dem spätimpressionistischen Malstils des Divisionismus oder Pointillismus. Dort wird die Farbe nicht als geschlossene Schicht aufgetragen, sondern in ihre Grundfarben bzw. Komplementärkontraste zerlegt, die wie Punkte oder Striche nebeneinandergesetzt und erst im Auge des Betrachters optisch gemischt werden. (Seurat, Signac, Segantini) Diese oszillierende Bewegung oder Flimmerwirkung der Farbe wird dadurch erreicht, daß deutlich unterschiedliche, möglichst ungetrübte Farben gleicher oder ähnlicher Helligkeit aufeinandertreffen.

Die Farben konkurrieren miteinander, da sie in ihrer Leuchtkraft gleichwertig sind.
Im Flur hängen zwei in grüner Farbe gemalten Bilder, bei denen die Künstlerin zusätzlich Punkte aufgetragen hat um diese Wirkung zu verstärken.

Im ersten Raum sehen wir sog. Materialbilder, die z. B. mit Sand und Farbe kombiniert wurden. Die haptische Wirkung dieser Obenflächenstruktur büßt jedoch nicht die Leuchtkraft und Transparenz der Farbe ein, sondern fungiert zusätzlich als belebendes Moment. Hier sehen wir Bilder in unterschiedlichen Graustufen, die Räume assoziieren. Es sind Chiffren einer Landschaft, Fragmente aus der Erinnerung, das Kombinieren mit warmen und kalten Tönen und das Spiel mit Hell und Dunkel, daß das Zwiegespräch der Künstlerin mit dem jeweiligen Bild dokumentiert.

Kleine Assemblagen – Collagen mit plastischen Objekten - die Sie in diesem Raum sehen, verweisen auf den spontanen Umgang mit sogenannten „Fundstücken“. Die reliefartige Oberfläche wird von der Künstlerin „sinngemäß“ mit Farbe übermalt.

In den Glasschränken befinden sich kleinformatige, quadratische Arbeiten, die, ebenfalls wie die großformatigen, Gesehenes, Beobachtetes, Empfundenes, Gefundenes und Erinnertes widerspiegelt.

Die Diptychen, die die Künstlerin im zweiten Raum (eins hängt noch im Flur und in einem weiteren Raum) präsentiert, verbinden große und kleine Formate. Das kleine Format liest sich wie eine Verdichtung, womöglich als Antwort zum großen. Wir sehen ein Fragment, daß sich aus dem großen Format gelöst hat. Eine Essenz ist entstanden. Es erzeugt ebenso einen eigenen pulsierenden und durchlichteten Raum, in dem sich der Betrachter meditativ hinein versenken kann. Durch die Leuchtkraft erhalten die Bilder etwas Spirituelles und werden durch sie von der irdischen auf eine überirdische Ebene gehoben.

Die Künstlerin arbeitet in ihrem Werk fast ausschließlich ohne Titel.

Zahlreiche kleine Formate in Postkartengröße, die Sie hier sehen, sind nicht etwa Skizzen oder Ideenhilfen, sondern eigenständige Werke.
Hier beweist die Künstlerin, daß sie mit ihren lichtdurchfluteten Farbformationen durchaus unbegrenzte Möglichkeiten für die anschauende Phantasie bietet.
In diesem Raum präsentiert die Künstlerin auch ein kleines 'Objet trouvé', das unter ihren Händen (im Sinn) verfremdet wurde – ein „Fundstück“ , wie sie es folgerichtig nennt.

Das Sichtbare um das Unsichtbare zu erweitern, war vielfach der bestimmende Impuls in der Kunst. Beatrix Tamm erreicht das durch den eigenen Malduktus und dem emotionalen Umgang mit Farben und Formen. Diese Bildsprache führt zu einem Extrakt, der unleugbar eine Suggestivkraft besitzt und Wahrnehmungsebenen eröffnet.

In all den Jahren hat sie ihr Thema nicht gewechselt, sie hat es lediglich verfeinert. Ihre Bilder sind zeitlos. Sie verfügen über ein breites Spektrum an Bild- und Farbkompositionen wie sie wohl nur Künstler schaffen, die ein hochsensibles Gespür für ihre Welt haben und für die Dinge und die Menschen auf die sie treffen.

Müllheim, 13.04.2011
© Gabriela Morschett
Künstlerin

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