Verena
Haisch-Avemark

Anmerkungen zur Malerei von Beatrix Tamm
Ausstellung in der Galerie Hofmann, Bad Krozingen vom 18.05. bis 21.06.2008
Verena Haisch-Avemark, Künstlerin

Ich beginne meine Einführung zu den Arbeiten von Beatrix Tamm mit einem Zitat von Novalis: "Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit, die Vergangenheit und Zukunft". In seinem Bildungsroman "Heinrich von Ofterdingen" geht es bei Novalis bei der Welterfahrung, die sein Held sammelt, nicht um ein Anhäufen stets neuer, äußerer Eindrücke.Was dieser sich an Bildung erwirbt, ist vor allem sein Innewerden von etwas lange Vergessenem, ein Auffinden von etwas im eigenen Inneren Verschütteten. in diesen Worten finde ich die Malerei von Beatrix Tamm wieder, in ihrer Entstehung und später in Ihrem Anschauen und Verstehen.
Ich fragte Frau Tamm: wie malen Sie ? Uns beiden ist klar, dass es sich nicht um eine Frage der Technik handelt sondern darum geht, welches der geistige und seelische Zustandist, aus dem solche Bilder hervorgehen.

Sie sagt, wenn ich ein Bild male, so gehe ich einen Weg, bei dem ich nicht weiß, wie ich ihn gehe, wie zeigt er sich und wohin komme ich."Ich beginne ein Bild ohne jede Vorstellung. Ich greife zu der Farbe, die mich anzieht, überdecke sie eventuell mit anderen, lasse sie vielleicht wieder hervortreten"."Ich fange an, nehme wahr ( das ist Schauen und inneres Fühlen), lasse mich bei der weiteren Arbeit von dieser inneren Bewertung .eiten. Dass es dann stimmt geht bis ins Körperliche und ist mit einem intensiven Glücksgefühl verbunden."

Die Bilder von B.T. sind nicht gegenständlich. Indem ich sie betrachte, nehme ich mir gleich Assoziationen zu Hilfe, wie ich dieses Vorgehen bei fast allen anderen Menschen beobachte, wenn sie abstrakte Bilder betrachten.
Wir suchen nach Vergleichen, wir wenden unsere alten Sehgewohnheiten an, jeder mag (und darf übrigens auch) etwas anderes darin sehen:
Rapsfelder, Wiesen, Felder von oben und ähnliches.Gleichzeitig beobachte ich, dass die Bilder eine ganz eigene Präsenz haben. Zunächst benutze ich wieder einen Vergleich: wie Strukturen in der Natur, wie Gewachsenes, wie vielleicht Vergrößerungen von etwas, man kann den Gegenstand nicht erkennen, um so besser die Oberfläche.Ich bekomme immer mehr das Gefühl, das ist etwas Eigenes, das keiner Interpretation bedarf. Ein Gedicht von Rilke, eine Erzählung von Kafka, man kann sie analysieren, interpretieren, wenn man möchte, das Rationale zwischen sich und das Werk schieben, damit eine Distanz schaffen, man kann aber auch versuchen, sich der Erfahrung unmittelbar auszusetzen.

Und übertragen auf den Umgang mit Bildern: Alle möglichen Konstruktionen nehmen wir zur Hilfe, damit wir nicht loslassen müssen. Wie ein Kind, das schwimmen lernt, sich immer wieder an sein Gummitier klammert, halten wir uns fest an den Kriterien der Bildbetrachtung wie Bildaufbau, Goldener Schnitt, Vordergrund und Hintergrund, Komplementärfarben, Figürliches, Gegenständliches, Interpretatorisches. Und wenn kein Gegenstand gemalt ist, sehen wir einen hinein. So sehen ich oder auch andere in Tamms Bildern Felder von oben, Rapsfelder z. B.
, wir mögen eine Lampe erkennen, einen Mehlsack im Gras, mindestens Naturähnliches.

So habe ich mich zunächst diesen Bildern angenähert, aber nachdem ich mit Beatrix Tamm über ihr Vorgehen beim Malen gesprochen habe, konnte ich meine Wahrnehmung verändern.

Sie wurden für mich ebenfalls unmittelbar stimmig. Sie brauchen keine Interpretation. Ja, sie entziehen sich regelrecht Erklärungsversuchen. Ich brauchte nicht mehr die gegenständlichen Assoziationen als Brücken, um die Arbeiten zu mögen und zu verstehen. Ich mußte nicht mehr nach bekannten Formen suchen, um mich mit diesen Bildern wohl zu fühlen. Ich sehe sie heiter, unschuldig, gelassen. Ich begeistere mich für diese schönen Arbeitspuren: wie sie die Farbe auf dem Untergrund vertreibt: entschlossen und unentschlossen, stark und zart, karg, aber nicht streng.

"Ich mache es nicht allzu sehr mit dem Kopf". Es ist vielmehr so, als hätte sie in ihrer Körpermitte eine Instanz, die für Schönheit zuständig ist und die sie während ihrer Arbeit ständig befragt. Am Bild arbeiten, schauen, prüfen und die innere Instanz befragen, weiterarbeiten, schauen - ein ständiger Prozeß bis eine Ruhe eintritt, ein körperliches Glücksgefühl, das bedeutet, dass das Bild fertig ist. Der innere Ästhet ist zufrieden. Viele Künstler haben dieses Schauen und innere Befragen, ohne sich dessen recht bewußt zu sein. Dieses Vorgehen wird immer und immer wieder geübt, bei jedem Bild, etwa wie ein Pianist eine Sonate übt. In dieser fast reinen Form habe ich es besonders bei B.T. vorgefunden. Es ist ein Zustand, ähnlich dem Samadhi in tiefer Meditation,der erst auftritt, wenn in den Gedanken Ruhe eingetreten ist. Er setzt voraus, dass der Künstler eher nichts will, kein Konzept hat. Ein solches Vorgehen schließt das Malen von Serien aus. Es ist sehr spontan, das Bild entsteht aus der momentanen Intuition.

"Ich male jeden Tag" sagt Beatrix Tamm. Ohne Konzept, weder inhaltlich noch die Gestaltung betreffend, stellt sich die Künstlerin täglich dieser Aufgabe. Wenn sie im Rhythmus ist, kann sie morgens und nachmittags ins Atelier gehen. Erst nachmittags komme sie richtig in Gang, funktioniere das innere Schauen, Bewerten, Verändern, komme sie richtig zu sich. Sie arbeitet oft lange an einem Bild. Der Bildanfang ist keine Qual für sie.

Gerhard Richter spricht z. B. über die Not seines Arbeitens:
"Ich weiß nichts, ich kann nichts, ich verstehe nichts. Nichts. Und dieses Elend macht mich nicht einmal besonders unglücklich." Auch hier der Moment der Leere, des Nichts. Das Freilegen von verschütteten Inneren, das Novalis meint, heißt bei der Malerei, sich von Altersdingen, von Denkgewohnheiten, Ego-Trips, Konzepten aller Art freizumachen.
Hinter Picassos Satz "Kunst wäscht den Stauf des Alltags von der Seele" mag sich ebenfalls das Zurückfinden zu sich selbst verbergen, das vom Kopf weg in das Innere geht. Vielen scheint es Angst zu machen, als Horror Vacui, der Angst vor der Leere, wenn man auf bisher Tragendes und Sinngebendes verzichtet zugunsten von Nichts oder Leere, aber einer Leere, in welcher der glückbringende Kontakt mit seinem tiefen eigenen Selbst möglich ist.

Aber man kann das Rapsfeld oder überhaupt selbstverständlich seine eigene Welt in den Bildern sehen.
OK
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