Draußen steht das Leben still. Die Hitze brütet über dem Maisfeld, kein Ton, kein Vogel, nicht einmal das Rascheln der vertrockneten Blätter ist zu hören, die sich von den goldgelben Kolben schälen. Fast könnte man meinen, dieser Ausblick aus dem Fenster des HerzZentrums in Bad Krozingen sei auf die Scheiben gemalt, so lautlos, so reglos präsentiert sich die Sommerlandschaft um das Klinikgelände.
Auch im Innern, diesseits der Scheiben, ist es ruhig. Nur hin und wieder surrt aus der Ferne eine automatische Tür, wenn die Pfleger einen Patienten im Bett zur Untersuchung über die Gänge schieben. Dann herrscht wieder Stille in den Fluren des Attikageschosses, wo die Kuratorin Beate HillKalusche regelmäßig Künstlerinnen und Künstler aus der Region ausstellt. „Kunst in der Klinik“ heißt diese kleine Reihe, die sich vorzugsweise den freundlichen Positionen der Kunst widmet. Positionen wie die der Malerin Beatrix Tamm aus dem Münstertal.Der erste Eindruck, den ihre Papierarbeiten an diesem Tag vermitteln, ist überraschend mimetisch. Lichte, diffuse Farbräume, gerne in Gelb, Orange oder hellem Grün gehalten, scheinen der stillgestellten Natur vor der Tür direkt den Weg in die teppichbodengedämpften Gänge der Krankenhausverwaltung zu weisen. Wie Synchronübersetzungen der Hitze, des Leuchtens und Flirrens glimmen sie hier an den Wänden – und lassen einen dennoch stutzen. Denn Tamms Arbeiten beziehen sich weder formal noch inhaltlich auf Natur. Eher geht es ihr um die Funktion von Farbe als Erinnerungsträger von Momenten sinnlicher Erfahrung. Die Flüchtigkeit dieser Augenblicke versucht sie festzuhalten zwischen den dünnen Farbschichten, die sie in unscharf umgrenzten Flächen auf das Papier bringt, in und übereinander schiebt und manchmal auch dezent möbliert mit Dingen des Alltags, einer Teekanne, einem Haus. Fast jedes ihrer Bilder hat sie mit Kaseinfarbe überzogen, wodurch die übereinander liegenden Farben fast schon im etymologischen Sinn als Geschichte sichtbar werden – als die Geschichte einer subjektiven Erfahrung und ihrer Aufzeichnung. Der fast zeichnerische Gestus ihrer Malerei verstärkt diesen Eindruck noch. In den trockenen Schraffuren, zu kompakten Flächen verdichtet, scheint ein Moment von Schriftlichkeit auf, das den Gedanken nahe legt, hier gehe es um ein endloses Ausformulieren von Wahrnehmungsreizen. In der beständigen Wiederholung dieser Reize und ihrer überzeichnung schreiben sich Tamms Bilder langsam wie von selbst zu, werden zu Tiefenpanoramen eines Bildprozesses, der nichts anderes ist als die Sedimentierung von Erinnerungsresten.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass Tamms Arbeiten auf den ersten Blick auch als Projektionsfläche für Naturerfahrung taugen. Ihre Farbräume sind offene Räume: kleine Bibliotheken des kollektiven Farbgedächtnisses. In ihnen zu schmökern, bedeutet Tamms Angebot, Farbe in Dialog mit sinnlicher und alltäglicher Erfahrung treten zu lassen, anzunehmen.Dietrich Roeschmann