Jonietz

ZUR MALEREI VON BEATRIX TAMM    von Magarita Jonietz

Bei disiplinierten Versuchen, sich zu erinnern an schon in Nacht versunkene Dinge des Vortags, stehen Wunder vor einem auf. Da ist die Wahrnehmung dieser Lichtspur, wo die Übermittlung gegangen ist, die ich nicht mehr habe, vor kurzem noch hatte, und die Erinnerung an den Ort (den zeitlichen Ort), an dem ich noch gewußt habe, und ferner ist in mir etwas wie eine Form für die mir entschwundenen Dinge da, so daß, wenn einer diese Dinge erzählt, ich sagen kann: "Ja,so muß es gewesen sein", eben weil die erzählten Dinge in die in mir bestehende Form sofort hineinpassen.

( aus, Ludwig Hohl, " Die Notizen oder von der unvoreiligen Versöhnung", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981 )

Der erste Eindruck, den die Malerei von Beatrix Tamm hinterläßt, ist der einer Klarheit, die sich in lichten Farben, in der Flächigkeit, den vereinzelt auftauchenden Figurationen und abgegrentzen Formen festmachen läßt. Versucht man ein Gesamtbild, ein Bildkonzept aufgrund der ersten Begegnung ausfindig zu machen, verflüchtigt sich allerdings dieser Eindruck und man entdeckt in ihrer Malerei, die sich abseits aktueller Moden bewegt, eine Lebendigkeit die jedem Bild seine in sich ruhende Individualität verleiht. Beatrix Tamm arbeitet weder seriell, inden sie sich ausschließlich und systematisch mit der Farbe und ihrer Wirkung beschäftigt, noch installiert sie begrifflich eindeutig erkennbare Themen oder Gegenstände im Bildraum. Trotz der auftauchenden Figürlichkeit erscheinen ihre Bilder nich als Denkkonstrukte, die einen zuvor überlegten Inhalt zum Gegenstand machen. Es sind vielmehr Bilder, die sich beinahe aus sich selbst produzieren, die vorher nicht gekannt sind und deshalb gemalt werden müssen.

Dabei folgt Beatrix Tamm den Spuren der Erinnerung. In der Begegnung von Dingen, von Menschen, von jeglicher Außenwelt wird ihr die ihnen innewohnende Energie bewußt. Das Erkennen einer spezifischen Form sinnlich emotionaler Richtigkeit, die sich von einer intellektuellen Auseinandersetung mit den Dingen unterscheidet, wird so zum Anstoß der künstlerischen Arbeit. Diesen Stimmungen spürt Beatrix Tamm in ihren Bildern nach. So steht die Farbe, die sie interessiert, immer im Zusammenhang mit einem Kontext und daher im Dialog mit anderen Farben, ihnen zugeordneten Feldern und einfachen Figurationen.Es sind Farben und Formen, die auf mögliche Begegnungen und Beziehungen anspielend, gleichzeitig befreit und in eine eigene Bildwelt eingebunden sind. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit manifestiert sich im Prozeß des Malens und in der Differenz der Bilder.

Doch ist der emotional bestimmte Umgang mit der Farbe und den Formen in den Werken von Beatrix Tamm nicht unbedingt offensichtlich, da der individuelle Gestus im Hintergrund der Bildformulierung steht. Am deutlichsten mag er in den Arbeiten der 80er Jahre zu entdecken sein, in denen die Malspur ein gewisses Maß an Heftigkeit verrät,die die vom unteren Bildrand sich aufrichtenen "Körper" füllt und umgibt. Und trotzdem strahlen schon die Bilder dieser Zeit eine symbolhafte Geschlossenheit aus, die nicht zuletzt in der Flächenhaftigkeit des Farbauftrages zu begründen ist. Dünn ist dieser gehalten, vorwiegend in den Grundfarben Blau, Rot und Gelb. Häufig werden Farbfelder oder ganze Bildflächen mit Kaseinfarbe übermalt, die eine Neutralisierung für nachfolgende Formulierung bieten kann. So entstehen mehrere Bilder übereinander, ohne daß die Farben ihre Leuchtkraft und Transparenz verlieren. Gleichzeitig lassen sie vorhergegangene Schichten durchscheinen, die inneren Bildern gleich nur teilweise an die Oberfläche des Bewußtseins gelangen und sich im Laufe der Zeit verändern können.
Trotz der mehrfachen Schichtungen bleibt eine haptische, durch das Malmaterial geprägte Oberfläche der Bilder aus, genauso wenig wie Farbvermischungen entstehen, die zu einer Verunklärung führen. Mit der Wahl von Papier als bevorzugtem Trägermaterial gesellt sich zur Bildaussage eine spürbare Unbeschwertheit. Mag bislang dem Zufall in ihrer Malerei wenig Spielraum gegeben worden sein, so bringt dieses als Träger überraschende und zusätzlich belebende Momente in das jeweilige Bild.Indem der Untergrund auf die Farbe reagiert, entstehen Unregelmäßigkeiten und Bewegungen, die mit der lasierenden und nuancenfeinen Malweise in Korrespondenz treten, ohne die Geschlossenheit der Bildoberfläche aufzubrechen.

In den Arbeiten der jüngsten Zeit weichen die manchmal organisch wirkenden Figurationen rechteckigen Feldern, die oftmals paarweise auftreten und in gegenseitiger Verbindung stehen.Da sie weniger figurativ und damit freier wirken, entsprechen sie noch deutlicher Bildvorstellungen, die sich mit Dingen decken, die man nicht einfach beschreiben kann. Das Erfahren auf verschiedenen Ebenen läßt sich anhand der Bilder und ihren Veränderungen ablesen. Wesentlich erscheint dabei, daß der Farbraum nicht struktuiert und pastoser geworden ist, daß z. B. prinzipiell die Perspektive entfällt und dadurch imaginäre Räume als Freiräume des Denkens entstehen.

Eine zusätzliche formale Anregung für die letztgenannten "Felderbilder" scheint durch die Beschäftigung mit einem anderen Bildträger, den Holzpaletten ausgelöst worden zu sein, die seit 1990 papallel zu den Arbeiten auf Papier einen wesentlichen Platz im Werk der Künstlerin einnehmen.Die vorgegebene Struktur des Holzes und der Palette mit ihren Nägeln, Lücken und Unebenheiten werden zur Herausforderung, malerisches und plastisches Denken zu konfrontieren. Die Malerei, die sich teilweise den dreidimensionalen und natürlichen Vorgaben der Palette und des Holzes fügt, wirft die Frage des Verhältnisses von Objekthaftigkeit und malerischer Flächengestalt auf, die die Künstlerin in erster Linie in Richtung der Bildwirkung, der Zweidinensionalität zu entscheiden versucht. Hier ist das Gegenüber, die Begegnung keine unsichtbare Größe, sondern für den Betrachter konkret und daher einfach nachvollziehbar. Gerade in dieser Werkgruppe mag der ihrer Arbeit immanente Aspekt des Spielerischen und der Leichtigkeit deutlicher als zuvor werden. Die frappierend klare Farbauswahl und die einfach gehaltenen Formen oder Flächen finden sich hier pointierter nebeneinander. Die Farbe, die wiederum lasierend aufgetragen ist, gewinnt an Stofflichkeit durch die spröde und rissige Oberfläche des Holzes. Häufig akzentuieren Farbkontraste die strukturellen Unterschiede innerhalb des Bildträgers, ein anderes Mal setzen sich Farbformulierungen über Vorgaben des Holzes hinweg. Bei beiden Herangehensweisen ist aber das Gesamtbild des Dialoges zwischen Malerei und plastischem Gegenstand, zwischen imaginärem und realem Bildraum für die Ausführung entscheidend.

Mit der ursprünglich zufälligen Wahl der Palette als Bildträger läßt Beatrix Tamm zusätzlich eine bisher verdeckte, aber nicht unwesentliche Seite ihrer künstlerischen Herangehensweise und Auseinandersetzung erkennen. Sie ist eine leidenschaftliche und aufmerksame Sammlerin, der es nicht gelingt, Eindrücken und Fundstücken jeglicher Art unabhängig von ihrem ästhetischen Wert zu gegegnen. So finden z.B. achtlos liegengelassene Gegenstände ihren Platz im Atelier der Künstlerin und fügen sich dort in neue Ordnungszusammenhänge und Bildkompositionen im Raum. Das Niederschreiben und Formulieren von Begegnungen und Erfahrungen scheint nicht zuletzt seine Kraft durch die Gegenwart all dieser einfachen Dinge zuu erfahren.







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