Gabriela
Morschett

Vernissagerede für Beatrix Tamm, 6. August 2017
Kunst in der Klinik im Universitäts-Herzzentrum Bad Krozingen

Am Anfang steht die Farbe, die Wahl bestimmter Farben, könnte man bei der Betrachtung der Bilder von Beatrix Tamm sagen. Farbe hat Kraft und ihr entlockt die Künstlerin Ausdruckswelten in unterschiedlichen kräftigen Farbklängen und Halbtönen.
Daß Farbmalerei ein packendes Abenteuer sein kann, erleben wir in dieser Ausstellung.

Der Kunsthistoriker Hans Jantzen hatte bereits 1913 in einem Aufsatz Über die Prinzipien der Farbgebung in der Malerei zwei grundverschiedene Auffassungsweisen der Farbgebung in der Malerei herausgestellt: Farbe als Eigenwert und als Darstellungswert.

Unter „Eigenwert“ versteht er alle diejenigen Werte in der Wirkungsweise der Farbe, die ohne Rücksicht auf den Farbenträger Geltung besitzen, in denen also die Elementarkräfte der Farbe zum Ausdruck kommen, ihr Schönheitswert, ihr Buntwert, ihre Möglichkeit sich wechselseitig zu ergänzen, zu steigern oder sich abzustoßen.

Unter „Darstellungswert“ seien alle diejenigen Eigenschaften in der Wirkungsweise der Farbe verstanden, die darauf ausgehen, die Natur des Farbenträgers zu erklären, die nicht nur seine Färbung angeben, sondern auch seine Stofflichkeit, Härte, Dichte, Rauheit, Glätte, das Körperhafte ebensogut wie seine Stellung in Raum und Licht.
So ist die Geschichte der Farbe in der Malerei eine Geschichte der stets sich wandelnden Beziehungen von „Eigenwert“ und „Darstellungswert“ zueinander.

Beatrix Tamm stellt die Frage nach einer neuen Wirklichkeit im Bild. Die versucht sie durch den Eigenwert der Farbe zu schaffen und ihre Kunst aus den Zwängen nachahmender Naturdarstellung zu befreien.

Die Künstlerin ist in Berlin geboren und hat in Bonn und Dornach Malerei studiert. Sie ist mit den Grundlagen und Gesetzmäßigkeiten, denen Farben unterliegen, vertraut.
Es ist eine langsame Schule des Sehen-Lernens, des genauen Beobachtens der eigenen Bilder um eine derartige künstlerische Position herauszuschälen.

Farbe ist ein sehr persönliches Ausdrucksmittel in der Malerei.
Für die Künstlerin, die sowohl kräftige reine Farben als auch Halbtöne einsetzt, spiegeln sie, wie sie betont, „innere und äußere Landschaften“ wider.

Schwebende Leichtigkeit und stoffliche Fragilität prägen die Bilderscheinungen, oftmals überarbeitet mit Spachtelmasse, als ob sie den Gedanken verworfen hat, um auf eine andere bildliche Aussage zu kommen. Subtil weist sie auf Landschaftseindrücke hin.
Räumlichkeit wird durch den Einsatz von Farbschattierungen erzeugt. Unerwartet tauchen hier und da Lichtfelder aus der Monochromie des Bildgrundes auf.

Beatrix Tamm hat eine Bildsprache entwickelt, in der amorphe Formen als Assoziationen von Landschaftsmerkmalen erscheinen. Sie sucht förmlich das Verhältnis vom gegenständlichen zu seiner künstlerischen Verformung. Sie plant nicht, hat vorher keine Vorstellung von dem Bild, sondern kennt nur den Weg, der zu gehen ist in diesem Prozeß.

„Alles muß aus dem Nichts entstehen!“ sagt sie.
Insofern stößt sie mit jedem Werk auf unbekanntes Terrain vor und kann nicht voraussagen, auf was sie stoßen wird.

Bei aller Spontaneität und Emotionalität bei Malen lassen die Bilder eine in sich gekehrte Besinnung und tiefe, innige Gefühlswelten erkennen. Es ist ein Zustand, ähnlich dem der Meditation. Im Gegensatz dazu fügt sich der doch sehr energisch geführte Pinselduktus ein.

Ihre Materialbilder, die mit Sand, Spachtelmasse und Farbe kombiniert wurden, büßen trotz dieser Oberflächenstruktur nicht an Leuchtkraft und Transparenz der Farbe ein.

Die Bilder in Grautönen sind meines Erachtens die subtilsten. Grau besitzt keinen oder nur einen geringen farbigen Eindruck. Es besitzt also keine Buntheit, ist eine unbunte Farbe. Hier setzt sie warme neben kalte Töne und beherrscht auch das Spiel mit Hell und Dunkel.

Warum in einem Bild eine Senkrechte oder eine Waagerechte entsteht, ist rein intuitiv, unbewußt und entzieht sich deswegen jeglicher Erklärung.

Ihre Arbeiten offenbaren oft einen langwierigen Schaffensprozeß, der eine zeitliche Dimension und Entwicklung nachvollziehbar werden läßt. Es geht in diesem schöpferischen Prozeß auch um existenzielle Dinge: Um Befindlichkeiten, um persönliche Siutationen, Freude und Frustration. Es geht um die überlagerten Schichten eigener oder vermeintlich eigener Erinnerungen, um den nie enden wollenden und uns oft niederdrückenden Prozess der Interpretation aller Erscheinungsformen innerer und äußerer Vorgänge.

Es sind Dinge, die täglich unser Auge durchdringen und sich in unseren Gedanken festsetzen.

Ohne gefällig zu sein, schaffen es die Bilder, den Betrachter anzuziehen, zu beschäftigen und zu einer Entdeckungstour durch die verschiedenen Farbklänge und –schichten anzuregen.

Die Bilder haben keine Titel, denn Inhalt der Bilder sind die Farbbeziehungen untereinander.

Ihre Farbmalerei ermöglicht, das der Betrachter sich auf die Farbe einlassen lernt, indem er Interesse nur für die Farbnuancen entwickelt und somit sein Sehen schult. Auf diese Weise kann er sich mehr und mehr sensibilisieren. Hier zeigt sich in gewissem Sinn eine Erlebnismöglichkeit: Ein Weg zum eigenen Innenraum, weg vom lärmenden, grell schreienden, schnelllebigen Außenraum. Ruhe, Stille, Sinnlichkeit werden durch derartige Positionen herausgeschält.

Ihre Bilder sind Widerspiegelungen, Zustandsbilder einer reflektierten Lebensbejahung.

Der Betrachter sollte sich gleichsam in ein wortloses Gespräch mit den Farben vertiefen. Das bedeutet für ihn meistens eine spannende Reise durch eine Bilderwelt voller überraschender Wendungen: Das nicht Abgeschlossene kann zum Zustand werden. Irrwege werden mit malerischen Mitteln korrigiert, bearbeitet, bis das gefühlte Ergebnis zu Tage tritt.

Beatrix Tamms Kunst, die frei von der Verklärung neuer Medien und avantgardistischer Kunstfindungen die unerschöpfliche Ausdrucksmöglichkeit, Geltung und den Fortbestand der Malerei unter Beweis stellt, ist in hohem Maße eine sinnliche Kunst.

Müllheim, 18.07.2017
© Gabriela Morschett 2017
Künstlerin

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